11. November 2021 – Stefan Angele
Notfall-Maßnahmen bei ausufernden Coronazahlen
Experten schlagen "Not-Schutzschalter"-Lockdown vor
Foto: Shutterstock
Angesichts rasch wachsender Fallzahlen und einer großen Impflücke dringt eine Expertengruppe in der Corona-Pandemie auf ein erhebliches Beschleunigen des Impftempos. Sie bringt für den Fall einer akuten Überlastung des Gesundheitssystems auch kurze, aber intensive Maßnahmen zum Herunterfahren der Kontakte ins Spiel.
Lockdown ohne den Begriff "Lockdown"
Die Gruppe um Physikerin Viola Priesemann nutzt in einem am Donnerstag (11.11.) veröffentlichten Winter-Strategiepapier nicht den Begriff Lockdown und betont, dass Schulschließungen nur ein letzter Schritt zur Entlastung der Kinder- und Jugendmedizin sein dürften. Die Experten regen jedoch an, für den Notfall ein Maßnahmenbündel zu planen, das sie "Not-Schutzschalter" oder "Not-Aus" nennen.
Hier geht's zum Programm von Radio Hamburg
Radio Hamburg Live Stream
Eure Mega-Hits für die schönste Stadt der Welt und dazu alle wichtigen News aus Hamburg, Deutschland und der Welt hört ihr bei uns im Programm.
Home-Office, Testpflicht, Schließungen
Im Papier sind als Maßnahmen für eine solche Auszeit genannt: Home-Office und engmaschige Testpflicht am Arbeitsplatz, verkleinerte Gruppen in Kindergärten und Schulen, (Teil-)Schließung von Geschäften, Restaurants, Dienstleistungen und Veranstaltungen, generell deutliches Reduzieren von Kontakten in der Arbeitswelt, der Öffentlichkeit und im Privaten. Es sei wichtig, einen solchen Schritt frühzeitig zu planen und "so stark wie möglich durchzuführen, damit sich der Aufwand überproportional auszahlt", hieß es im Papier. Halbherziges Vorgehen habe nicht den erwünschten Effekt. Der Lockdown light im vorigen Winter etwa sei weder effektiv noch zielführend gewesen, heißt es.
Intensivstationen Luft verschaffen
Priesemann erläuterte am Donnerstag in einer Videoschalte, dass man mit einer solchen Maßnahme, etwa über zwei Wochen, den Intensivstationen wieder Luft verschaffen könne. Dafür eigneten sich etwa auch Schulferien. "Es ist unklar, ob ein Not-Schutzschalter notwendig wird. Aber es wäre trotzdem hilfreich, schon jetzt einen klaren Plan zu entwickeln, ihn frühzeitig anzukündigen und mögliche Kollateralschäden präventiv abzufangen", heißt es dazu im Papier. Die Wissenschaftler raten, solche Maßnahmen vorab verfassungsrechtlich und ethisch prüfen zu lassen.
Nur Impfen kann Lockdown verhindern
Priesemann sagte, sie hoffe, dass die Impf- und Boosterkampagne ausreichend Fahrt aufnehme, um die vierte Welle in den Griff zu bekommen. Sinnvoll wäre dem Papier zufolge ein Tempo wie im Frühsommer, als circa sieben Prozent der Bevölkerung pro Woche zweitgeimpft worden seien. Simulationen zeigten, dass eine Auffrischimpfkampagne mit dieser Geschwindigkeit nach einem Monat erste Wirkung zeigen werde. Derzeit gehe es beim Impfen zu langsam, machte Priesemann deutlich.
Zeit muss überbrückt werden
Um die Zeit bis zum Erreichen von ausreichend Impfungen und Boostern zu überbrücken, seien deutliche und wirksame Maßnahmen erforderlich, hieß es. "Eine vermehrte Testung als alleinige Maßnahme wird zur Durchbrechung der beginnenden Winterwelle wohl nicht reichen." Auch die Verhaltensregeln und die 2G/3G-Beschränkungen werden als alleine nicht ausreichend beschrieben. Der Virologe Christian Drosten, der nicht am Papier beteiligt war, sagte der Wochenzeitung "Die Zeit": "Ich halte es für sicher, dass man kontakteinschränkende Maßnahmen braucht."
Rekordwert an Infektionen
Die Autoren kommen aus verschiedenen Disziplinen, darunter sind etwa die Virologinnen Sandra Ciesek und Ulrike Protzer, Epidemiologin Eva Grill, Immunologe Carsten Watzl, Intensivmediziner Christian Karagiannidis und der Soziologe Armin Nassehi. Modellierungen verschiedener Gruppen flossen ein. Wie auch andere Fachleute zuvor betonten, reiche die bisherige Impfquote in Deutschland nicht aus. Infizierten sich in diesem Winter alle bisher ungeschützten Menschen, so "hätten wir mindestens dreimal mehr Personen auf den Intensivstationen als es im gesamten letzten Winter der Fall war", heißt es im Papier. Bei den Corona-Fallzahlen werden derzeit Höchstwerte erreicht: Am Donnerstag wurden binnen eines Tages rund 50.000 Neuinfektionen gemeldet, die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz stieg auf 249,1. Der Anstieg der Zahl der Covid-19-Patienten auf Intensivstationen setzte sich auf mehr als 2.800 fort.
Foto: Bloomicon / Shutterstock.com
Für iOS & Android
Holt euch die kostenlose Radio Hamburg App
Hört uns an jedem Ort auf der Welt in bester Qualität & störungsfrei über unsere kostenlose App. Holt sie euch jetzt für Android oder iOS.
Alle Infos zur Coronakrise
Alle weiteren Entwicklungen zur Coronakrise hört ihr immer auch bei uns im Programm, den Nachrichten um Halb und Voll oder im Nachrichtenpodcast zum Nachhören.